Jüdisches Musikleben im heutigen Deutschland
Tagung im Rahmen von SHALOM-MUSIK.KOELN in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln
Mittwoch, 13. November 2024, 14.00 Uhr bis 21.00 Uhr
Jahrhundertelang wurde die jüdische Musik von der nicht-jüdischen Umgebung kaum wahrgenommen. Seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde sie dennoch zu einem Diskussionsthema in der deutschen Musikpublizistik. Der Anstoß dazu war die zunehmende Beteiligung von Musikern jüdischer Abstammung am europäischen Musikleben. Es gab dann fast hundert Jahre lang eine ganze Flut von Publikationen (darunter Richard Wagners antisemitischer Aufsatz „Das Judentum in der Musik“ von 1850), die sich mit der angeblich jüdischen Musik von Mendelssohn, Meyerbeer oder später Arnold Schönberg beschäftigten, ohne dass sich jemand von den Autoren für die authentische jüdische Musik interessierte. Von dieser Ignoranz zeugen auch heute noch die musikalischen Nachschlagewerke, die fast keine Informationen etwa über bedeutende deutsch-jüdische Synagogenmusiker enthalten.
Im 19. Jahrhundert verschwand die volkstümliche jüdische Musik infolge der Emanzipation zusammen mit der jiddischen Sprache und der traditionellen Lebensweise aus dem Leben der deutschen Juden. Auch die Musik der Synagoge wurde damals im Laufe der jüdischen religiösen Reform nicht zuletzt durch die Einführung der Orgel stilistisch an die Kirchenmusik angepasst. Lediglich in den orthodoxen Synagogen wurden die alten Motive unverändert vorgetragen und als einziges Musikinstrument wurde zu besonderen Anlässen das biblische Schofar geblasen.
In den 1930er Jahren erfuhr die jüdische Musikkultur in Deutschland trotz der antisemitischen Verfolgung einen Aufschwung: Die verfolgten und diskriminierten deutschen Juden versuchten, ihre jüdische Identität neu zu definieren, die Musik – traditionelle Synagogengesänge, jiddische Volkslieder aus Osteuropa und zionistische Lieder aus Palästina, aber auch neue Werke der Kunstmusik in einem jüdischen nationalen Stil – spielte dabei im Rahmen der Jüdischen Kulturbünde, diesem 1933 gegründeten jüdischen „Kulturghetto“, eine wichtige Rolle.
Nach dem Holocaust war die Existenz eines jüdischen Musiklebens in Deutschland – wie auch eines jüdischen Lebens überhaupt – zunächst kaum vorstellbar. Die vertriebenen jüdischen Musiker, die nach dem Krieg nach Deutschland und Österreich zurückkehrten, – wie etwa Friedrich Holländer, Erich Wolfgang Korngold, Werner Richard Heymann oder Hans Heller – konnten nicht mehr an ihre frühere Karriere anknüpfen, sie wurden mit Gleichgültigkeit und Ablehnung seitens des Staats, der Musikinstitutionen und ihrer Umgebung konfrontiert. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung, 45 Jahre nach dem Kriegsende, begann die Aufarbeitung der Auswirkungen des Nationalsozialismus im Musikleben und die Wiederentdeckung zahlreicher verfolgter und vergessener jüdischer Komponisten.
Inzwischen ist jüdische Musik hierzulande ein wichtiger Teil eines breiten, stark diversifizierten öffentlichen Kulturraums. Besonders populär wurde die jüdisch-osteuropäische Klezmer-Musik – die in Deutschland insbesondere mit der schluchzenden Klarinette von Giora Feidman assoziiert wird. Die Klezmer-Melodien und jiddische Volkslieder wurden im Rahmen der Weltmusikbewegung wiederbelebt und neu gestaltet und erfuhren unter diesen Umständen eine Art Renaissance hauptsächlich außerhalb des jüdischen Milieus. Solche Musikgattungen dienen heute als Projektionsflächen für gewisse romantische Vorstellungen vom Judentum, ohne dass sie irgendwelche Verbindung zur realen heutigen jüdischen Identität besitzen.
Die öffentliche Tagung am 13. November 2024 ab 14 Uhr wird nicht nur die Geschichte des jüdischen Musiklebens der letzten Jahrzehnte reflektieren, sondern auch und vor allem die Bestandsaufnahme der heutigen Situation aus verschiedenen Perspektiven vornehmen. Eingeladen sind sowohl prominente Musikwissenschaftlerinnen, als auch bedeutende MusikerInnen und es wird nicht nur diskutiert, sondern auch musiziert.
In einer von Prof. Dr. Rainer Nonnenmann moderierten Diskussionsrunde um 16.30 Uhr sprechen vier junge Musikschaffende u.a. aus Israel (Tom Belkind, Camilo Bornstein, Tal Botvinik, Shelly Ezra) über ihre Beweggründe, warum sie zum Kompositions- bzw. Instrumentalstudium nach Deutschland und an die HfMT Köln gekommen sind, wie sie das (Musik)Leben hier wahrnehmen, wie sie in der Szene der neuen Musik vernetzt sind, welche ihrer Erwartungen erfüllt und welche enttäuscht wurden, welche beruflichen Bindungen sie weiter zu ihrem Heimatland und international unterhalten, was ihre Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft sind?
Programm
14.00 Uhr Key note
Prof. Dr. Sarah Ross, Hannover
Ein Architekt und seine Architektur jüdischen Musikerbes: Die Notensammlung Isaak Lachmanns (1838–1900) als Gründungsmoment des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik in Hannover
15.00 Uhr Vortrag
Prof. Dr. Jascha Nemtsov, Weimar/Berlin
Jüdische Kantoren im heutigen Deutschland
15.30 Uhr Kaffeepause
16.00 Uhr Vortrag
Dr. Diana Matut, Essen
Jiddische Kultur als Dritter Ort. Die Nachkriegsgeschichte jiddischer Musik in Ost und West
16.30 Uhr Diskussionsrunde
mit jungen jüdischen, in Deutschland lebenden Musikschaffenden moderiert von Prof. Dr. Rainer Nonnenmann, Köln
Tom Belkind (Komponist)
Camilo Bornstein (Komponist)
Tal Botvinik (Gitarre)
Shelly Ezra (Klarinette)
17.30 Uhr Getränkepause
Veranstaltsungsort
Kammermusiksaal der HfMT Köln
Unter Krahnenbäumen 87
50668 Köln
Eintritt frei
Die musikwissenschaftliche Tagung sowie das Konzert wird im Rahmen SHALOM-MUSIK.KOELN in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem Kölner Forum für Kultur im Dialog veranstaltet. Tagungsleitung: Prof. Dr. Jascha Nemtsov
Hinweis: Foto- und Filmaufnahmen
Bitte beachten Sie: Mit Ihrer Teilnahme an der Veranstaltung erklären Sie sich einverstanden, dass Bild- und Filmaufnahmen Ihrer Person erstellt und vom Veranstalter Kölner Forum für Kultur im Dialog e.V. in einer Dokumentation über die Veranstaltung, für die eigene Berichterstattung über die Veranstaltung sowie im Internet verwendet und veröffentlicht werden. Darüber hinaus werden die Aufnahmen Medienvertretern auf Anfrage zur Verfügung gestellt.
Im Anschluss: Podiumsdiskussion „Jüdisches Musikleben im heutigen Deutschland“ mit Dr. Alan Bern, Dr. Diana Matut, Prof. Dr. Jascha Nemtsov, Prof. Dr. Sarah Ross